Strom kommt aus der Steckdose

Und warm wird’s, wenn man am Heizkörper dreht

Autor: Claus Ghesla

Eigentlich sind Strom- und Gasmärkte für Haushalte in Österreich ein Paradebeispiel für eine gelungene Umsetzung marktliberaler Prinzipien. Eigentlich. Die Auswahl an Anbietern ist groß, man kann sich transparent informieren und wechseln ist einfach. Und dennoch hat im vergangenen Jahr nur ein Bruchteil der österreichischen Haushalte einen günstigeren Strom- oder Gasanbieter gewählt. Warum ist das so?


Die Anmeldungen für Strom und Gas sind oft „Begleiterscheinungen“, wenn man in eine neue Wohnung oder ein neues Haus zieht. In den meisten Fällen schreibt uns der lokale Energieversorger mit Einzug einen Brief zur Vertragserstellung, welchen wir retournieren. Der Strom kommt dann aus der Steckdose und warm wird’s, wenn man am Heizkörper dreht.

Einmal im Jahr erhalten wir eine Abrechnung mit Gutschriften zu bereits monatlich gezahlten Beiträgen, unserem Verbrauch in kWh, Zahlen zu Grund- und Verbrauchspreis, Netznutzungsentgelten sowie Steuern und Abgaben. Die meisten Menschen machen sich aber wahrscheinlich nur wenige Gedanken darüber was hinter diesen Abkürzungen, Zahlen und Angaben steckt. Solange der Strom fließt und die Wohnung warm ist, bezahlen wir die Rechnungen im Lastschriftverfahren und sind zufrieden, dass alles reibungslos funktioniert.

Warum also überhaupt dieser Beitrag?

„Freier“ Strom- und Gasmarkt in Österreich

Viele Menschen wissen nicht, dass der Strom- und Gasmarkt schon 2001 bzw. 2002 vollständig liberalisiert wurde. Das bedeutet, alle Haushalte (ja, auch Ihrer) können frei wählen, welcher Anbieter sie mit Energie beliefern soll. Aus einer „klassischen“ ökonomischen Perspektive ist das ein nahezu idealer Zustand eines Marktes, da Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern entstehen kann. Das sorgt für ein allgemein geringeres Preisniveau im Vergleich zu Monopolen und sollte die Qualität des Angebots verbessern. Soweit die Theorie. In der Praxis nehmen nur wenige Haushalte die Möglichkeiten des Marktes wahr: 2017 haben in Österreich nur 4,3% bzw. 6% der Haushalte den Strom- bzw. den Gasanbieter gewechselt, obwohl ein solcher Wechsel jährlich bis zu 908 Euro in die Haushaltskasse spülen kann (ORF 2018).

Warum wird so wenig gewechselt?

Woher kommt diese Zurückhaltung bei der Wahl von offensichtlich besseren (günstigeren) Angeboten?  Ein Grund lässt sich schon aus der Frage erahnen: Offensichtlichkeit. Wie eingangs erwähnt, sind wir nur sporadisch mit der Situation der Auswahl eines Energieanbieters konfrontiert. Damit allen Menschen Zugang zu Energie ermöglicht werden kann, regelt das Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz (ElWOG 2010), dass ein Anbieter, welcher in einer bestimmten Region das Energienetz mit den meisten Anschlüssen betreibt, als so genannter „Grundversorger“ agiert. Der Grundversorger schickt Ihnen also standardmäßig den netten Brief zu Ihrem Einzug oder Wohnungswechsel. In der Verhaltensökonomie nennen wir das das Setzen eines „Defaults“.

Defaults bezeichnen jene Option (jenen Vertrag), welche wir bekommen, wenn wir uns nicht aktiv für etwas anderes entscheiden. Auf der einen Seite ist so eine gesetzliche Regelung hinsichtlich eines uneingeschränkten Zugangs zu Energie zu begrüßen. Auf der anderen Seite zeigen jedoch viele verhaltensökonomische Befunde, dass Menschen öfter bei der Default-Option bleiben. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Default ist die Organspende. In Österreich sind fast alle Menschen Organspender, während in Deutschland nur etwa 15% einen Organspendeausweis haben. Der Grund dafür ist, dass in Österreich der Default Organspende ist, während bei unseren deutschen Nachbarn, Menschen sich aktiv dafür entscheiden müssen Organe zu spenden (siehe Johnson 2003).

Die geringen Anbieterwechselzahlen sprechen jedenfalls dafür, dass auch im Energiemarkt Default-Effekte eine große Rolle im Entscheidungsverhalten von Haushalten spielen könnten. Die Gründe für einen solchen Effekt fallen jedoch möglicherweise sehr unterschiedlich aus. Neben dem angesprochenen Umstand, dass vielen nicht bewusst ist, dass sie eine Wahl haben, kann es auch sein, dass wir uns ungenügend über alternative Verträge informieren, dass wir aufgrund der Fülle an Information, die Entscheidung als zu komplex erachten. Vielleicht haben wir die Entscheidung auch einfach vergessen oder als nicht wichtig genug erachtet. Zusätzlich wäre es auch möglich, dass wir den Default-Vertrag als implizite Empfehlung durch den Anbieter ansehen und deshalb nicht wechseln. Es besteht auch die Option, dass Haushalte unerwartete Kosten beim Anbieterwechsel scheuen oder ganz bewusst die Entscheidung ignorieren. Sie sehen, es gibt eine Vielzahl an Gründen, weshalb Defaults „funktionieren“.

Wie bringen wir mehr Haushalte dazu zu wechseln?

Aus verhaltensökonomischer Sicht wäre eine einfache Strategie, dass man Defaults abbaut, d.h. Haushalte nicht vorab durch einen bestimmten Stromanbieter angeschrieben werden, und damit die aktive Wahl stärkt. Das hilft jenen Haushalten, welche aufgrund von Unwissen oder Trägheit im Default-Vertrag bleiben, eine womöglich bessere (oder überhaupt eine) Entscheidung zu treffen. Trotzdem können all jene Haushalte, welche sich über ihre Vertragswahl im Klaren sind, immer noch eine rasche Entscheidung treffen. Eine aktive Wahl verändert im Sprech der Verhaltensökonomen die „Entscheidungsarchitektur“ und gestattet grundlegend Entscheidungen, welche den Präferenzen der Haushalte besser entsprechen (Keller et al. 2011).

Das Problem ist allerdings, dass Defaults im Strommarkt unvermeidlich sind. Aufgrund der rechtlichen Bestimmung kann man nicht nicht (sic!) einen Stromvertrag haben. Wir müssen also andere Strategien entwickeln, um Haushalte zum Wählen zu animieren.

Eine Möglichkeit wäre mit Erinnerungen auf der Jahresabrechnung zu arbeiten. Altmann & Traxler (2014) haben gezeigt, dass Menschen, welche eine Erinnerung für einen Zahnarztbesuch bekommen (mindestens so angenehm und interessant wie eine Energieanbieterwahl), auch häufiger tatsächlich zur Vorsorge gehen.

Eine andere Option wäre zu ergründen, ob bessere Information zum Wechselprozess mehr Vertrauen in die Funktionsweise des Marktes erzeugen kann und dadurch auch ein erhöhtes Wechselverhalten einhergeht. Vielen Haushalten ist z.B. nicht bewusst, dass der neu gewählte Anbieter den gesamten administrativen Prozess selbstständig durchführt. Technische Änderungen ergeben sich im Übrigen keine, sowohl der Strom- oder Gaszähler als auch ihr Anschluss ans Netz bleibt derselbe. Sie wechseln nur den Energieanbieter.

Eine dritte Möglichkeit, welche momentan eifrig in der Forschung diskutiert wird, ist die Verwendung von personalisierten Defaults, welche über Algorithmen versuchen für jeden den „idealen“ Vertrag zu erstellen (Allcott & Kessler 2015, Sunstein 2012). Dass diese Richtung mit erheblichen Fragezeichen in Richtung Datensicherheit und Privatsphäre einhergeht, versteht sich von selbst.

Klar zum Wechsel

Für alle, die mehr Informationen zum Wechsel, Anbieterauswahl und Vergleich unterschiedlicher Verträge brauchen: die e-control, die österreichische Regulierungsbehörde für den Energiemarkt, bietet einen praktischen Onlinevergleichsrechner von Strom- und Gasanbietern an – das Vergleichen von Angeboten und das Wechseln ist dadurch direkt möglich. Übrigens: wissen Sie was etwa genauso kurz dauert wie das Lesen dieses Blogeintrages? Richtig, Ihr Anbieterwechsel.


Literatur

Allcott, H. and Kessler J.B., 2015. The Welfare Effect of Nudges: A Case Study of Energy Use Social Comparisions. National Bureau of Economic Research. Working Paper 21671.

Altmann, S. and Traxler, C., 2014. Nudges at the dentist. European Economic Review, 72, 19-38.

ElWOG (2010): https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007045

Keller, P.A., Harlam B., Loewenstein, G. und Volpp, K.G.,2011. Enhanced active choice: A new method to motivate behavior change. Journal of Consumer Psychology, 21(4), 376-383.

ORF, 2018. Strom und Gas: Anbieterwechsel spart bis zu 908 Euro. Abrufbar hier: https://help.orf.at/stories/2939701/

Sunstein, C.R., 2012. Impersonal Default Rules vs. Active Choices vs. Personalized Default Rules: A Triptych. Working Paper. Harvard University.

Titelbild: Anthony Indraus (gefunden auf unsplash.com)