Spotlight: Anna Durnová

Anna Durnová ist derzeit als Elise-Richter-Stipendiatin am IHS Kompetenzzentrum Insight Austria. Sie befasst sich vor allem mit dem Spannungsfeld von Emotionen und Wissen in der Politik.


Du arbeitest in der Politikwissenschaft und Soziologie, was ist dabei dein Schwerpunkt?

Ich glaube, dass ich nach 16 Jahren sagen kann, dass mein Schwerpunkt die Verbindung von Emotionen und Politik ist. Emotionen haben in unseren modernen, liberalen Demokratien nicht nur einen politischen, sondern auch einen kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert.

Welche Fragestellungen und Themen ergeben sich daraus?

Die Frage wem wir Emotionen zuschreiben ist zentral. Wenn wir das hinterfragen, stellt sich heraus, dass wir nicht grundsätzlich gegen oder für Emotionen sind, sondern dass uns im öffentlichen Leben und in öffentlichen und politischen Debatten an manchen Themen Emotionen stören und an anderen nicht. Emotionen werden auch im Bezug auf verschiedene AkteurInnen unterschiedlich bewertet. Das klassische Beispiel, das sich auch durch meine rezente Forschung zieht: Frauen werden aufgrund gesellschaftlicher Zuschreibungen als emotional dargestellt, das heißt eine gewisse Emotionalität wird immer vorausgesetzt. Die kann ihnen in der politischen Debatte zum Problem werden.

Wie hat sich dieser Schwerpunkt im Laufe der Zeit entwickelt?

Zunächst wollte ich emotionale Politikfelder untersuchen, weil sie einerseits abseits der klassischen Politikwissenschaft waren, aber dennoch von politischen Regulierungen beeinflusst werden. Ich habe später gesehen, dass sich das Thema durch die gesamte politische Palette zieht – Emotionen waren für mich dann die Brille, durch die ich die Zusammensetzung von Themen und AkteurInnen beobachtet habe.

Wie sieht der Beginn deiner akademischen Laufbahn aus?

Ich habe vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik) und Politikwissenschaft als Doppelstudium studiert. Sprache hat mich immer fasziniert und ich glaube, dass ich mich wegen dieser Faszination auch in der Politikwissenschaft für Themen interessiert habe, die schwer auszudrücken sind. Ich habe dann 2005 an der Universität Wien unter der Leitung von Herbert Gottweis eine Dissertation zum Thema Sterbehilfe begonnen. Für mich war spannend, wie sich dieses Feld des Sterbens jeder politischen Regulierung entzieht.

Kein klassisches Thema der Politikwissenschaft.

Ich habe mich sicher am Rand des Kanons in der Politikwissenschaft bewegt und hatte auch mit meinem Team an der Life-Science Governance forschungsplattform an der Uni Wien Glück, bei dem ich sehr viel Freiheit hatte. Ich habe in der Politikwissenschaft die „schrägen“ Themen bearbeitet, was mich auch immer mehr in Richtung Soziologie und mit Soziologen in Kontakt gebracht hat. Immer interessiert hat mich das Verhältnis zwischen Individuum und Institution. Auf der einen Seite das individuelle Leben und auf der anderen Seite die Institution, die das anerkennt – oder auch nicht anerkennt. Das Thema Sterben war für mich der Einstieg in dieses Spannungsfeld.

Wo war deine nächste Station?

Nach meinem Doktorat war ich ein Jahr in Lyon auf einer Forschungsstelle im Bereich der Stadtplanung. Ich habe dann ein Forschungsthema gefunden, das beide Bereiche – Stadtplanung und Emotionen – gut verbunden hat und einen lange andauernden Planungskonflikt um den (geplanten) Bahnhof in der tschechischen Stadt Brno untersucht. Die Arbeit hat mir gezeigt, dass ich mich über das Thema Emotionen an den Konflikt zwischen Zivilgesellschaft und Politik annähern kann. Für mich war das wichtig, weil es mir gezeigt hat, dass Emotionen nicht nur die Themen Sterben oder Gesundheit betreffen, sondern auch Alltagspolitik.

Danach bist du über das Hertha-Firnberg-Projekt des FWF wieder nach Wien gekommen.

Genau, es ging dabei um Ignaz Semmelweis und den Beginn der Krankenhaushygiene. 2012 habe ich mit dem Projekt begonnen. Was mich an Semmelweis fasziniert hat war, wie emotionalisiert die Debatte um etwas – heute so simples – wie Händewaschen geführt worden ist. Auch die Verbindung zur Geburtsklinik und zu Frauen, und wie deren Empfindungen damals wahrgenommen worden sind, war für mich spannend. Was das Projekt schön gezeigt hat: Wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen nicht im Vakuum, sondern unter gesellschaftlichen und emotionellen Bedingungen. Eine neue Erkenntnis impliziert, dass altes Wissen nicht mehr gültig ist und dass damit zusammenhängende Regulierungen und Pfadabhängigkeiten fallen. Das ist ein gewaltiger, emotionaler Moment. 2015 habe ich dann zum 150. Todestag von Ignaz Semmelweis das Buch „In den Händen der Ärzte“ publiziert, mit dem ich zeigen wollte, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht von einer emotionellen Logik entkoppelt werden können.

Wie bist du dann anschließend ans IHS gekommen?

Ich bin noch während des Hertha-Firnberg-Projektes von der Uni Wien ans IHS gewechselt, das war 2016. 2014 bis 2016 war für mich generell eine Zeit, in der ich mich institutionell neu orientieren wollte und musste. Das Angebot, mein Projekt am IHS weiter zu machen, habe ich daher gerne angenommen. Ich hatte dann im Frühjahr einen viermonatigen Forschungsaufenthalt in Yale und bin dann wieder zurück ans IHS.

Wie war deine Zeit in den USA?

Der Aufenthalt war für mich wesentlich, weil ich nach einem Aktualisierungsbeispiel für meine Forschungsarbeit gesucht habe und dafür vom Gesundheitsbereich weg wollte. Ich bin dann in Yale am Center for Cultural Sociology Anfang 2017 gelandet, nur ein paar Monate nach der Wahl von Donald Trump. Das Thema Wahrheit ist in einer Zeit, als viel von „post-truth“ geredet wurde, zentral geworden. Kurz nach meiner Ankunft habe ich vom geplanten March of Science erfahren, der dann im April stattgefunden hat und für mich der Impuls zu neuer Forschung geworden ist. Aus dem gesammelten Material, gemeinsam mit dem Wissen, dass ich zu Wahrheit, Emotion und Politik schon hatte, ist dann 2019 mein Buch „Understanding Emotions in Times of Post-Factual Politics“ entstanden. Auch darüber hinaus war der Aufenthalt in den USA sicher eine meiner inspirierendsten Zeiten, von der ich zum Teil bis heute schöpfe.

Aktuell bist du über das Elise-Richter-Programm des FWF am IHS, wie ist es dazu gekommen?

Ich habe mit Unterstützung des IHS einen Antrag gestellt, der im Juni 2019 bewilligt worden ist, seit September 2019 bin ich wieder am Institut. Auch in der Zeit davor war ich mit dem IHS als Fellow verbunden. Das aktuelle Projekt behandelt die Hausgeburten-Debatte in Frankreich und die Mammografie-Debatte in Österreich. Dabei geht es – wie bei meinen Arbeiten zuvor – nicht (nur) um die Debatten an sich, sondern darum, was sie uns über den Konflikt um die Selbstbestimmung in der liberalen Demokratie sagen. Frauen werden dabei in beiden Debatten Emotionen zugeschrieben, um Verhalten zu legitimieren bzw. zu delegitimieren. Es geht also um die Verbindung zwischen Selbstbestimmung, Emotion und Wissen. Auch jetzt am Beispiel Corona zeigt sich, wie Wahrheit anhand dieser drei Parameter verhandelt wird.

Danke für das Gespräch!