Was ist vom Ausbruch des Coronavirus zu erwarten?

AutorInnen: Thomas Czypionka, Miriam Reiss, Isabel Pham

Das Coronavirus 2019 wird medial bereits als Auslöser einer möglichen Pandemie bezeichnet. Der folgende Blogbeitrag versucht ein erstes Assessment der gesellschaftlichen und ökonomischen Effekte, datiert mit Anfang Februar. Für eine aktuelle Einschätzung sei auf den Policy Brief vom 27. Februar verwiesen.


Es gibt viele Typen von Coronaviren, die vorwiegend Tiere infizieren und dort ihr Reservoir haben, einige wenige Arten sind aber auch humanpathogen und verursachen vorwiegend respiratorische Infekte. Die Schwere der Erkrankung ist dabei sowohl vom konkreten Virustyp als auch vom Gesundheitszustand der infizierten Person abhängig. Das derzeit in China grassierende Virus (abgekürzt als 2019-nCov bezeichnet) verursacht tiefe Atemwegserkrankungen, was die Übertragbarkeit im Vergleich zu Influenza (vorwiegend obere Atemwege) etwas verringert, aber den Krankheitsverlauf potenziell etwas gefährlicher machen könnte. Es gibt derzeit 24.562 bekannte Fälle, überwiegend in China, jedoch auch in 24 anderen Staaten.[1] In anderen Ländern liegt die Zahl der nachgewiesenen Fälle bisher jeweils unter 20. Die sogenannte Basisreproduktionszahl (R0) wird auf ca. 2,2 (95%-Konfidenzinterval 1,4 – 3,9 aus einem Sample von 425 infizierten Personen) geschätzt, was bedeutet, dass eine infektiöse Person im Schnitt 2,2 andere Personen in einer suszeptiblen[2] Grundpopulation ansteckt. Eine weitere Ausbreitung ist generell bei einem R0 von über 1 möglich, weshalb zur erfolgreichen Bekämpfung das R0 auf unter 1 sinken müsste.[3] Insgesamt starben bisher 493[4] vorwiegend ältere Personen, davon nur eine außerhalb von China (Philippinen), die ebenfalls aus dem Endemiegebiet ausgereist war. Das Virus dürfte nach derzeitiger Einschätzung somit nach wie vor weniger letal[5] und pathogen sein als die ebenfalls durch Coronaviren verursachten Ausbrüche SARS (2002/03) und MERS (seit 2012). Die Tatsache, dass es in China bereits mehr bestätigte Todesfälle als bei SARS gab, kann nicht dahingehend interpretiert werden, dass 2019-nCov gefährlicher ist, da zum Zeitpunkt der SARS-Epidemie die Möglichkeiten zum Virusnachweis viel beschränkter waren, die Dunkelziffer an Fällen somit viel höher. SARS hatte ein R0 von 3 und war auch aufgrund geringerer Möglichkeiten zur damaligen Zeit als problematischer eingestuft worden.

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Aktienmärkte

Die Aktienmärkte reagieren meist früh und sensibel auf Nachrichten, die eine negative Wirtschaftsentwicklung vermuten lassen. Negative Reaktionen sind also erwartbar. Hinzu kommt, dass eine längere Phase steigender Aktienkurse hinter uns liegt, die eine Korrektur ohnehin wahrscheinlich gemacht hat. Der Ausbruch des neuen Coronavirus war somit sicher auch ein Anlass zu dieser Korrektur. Das Ausmaß der Reaktion der Aktienmärkte in den letzten Tagen ist in Europa überschaubar. Der DAX hat beispielsweise kurzfristig zwischen 2 und 3% gegenüber dem Höchststand 2020 verloren, – er liegt aber im Vergleich zu vor einem Jahr fast 19% im Plus. Der Nikkei-Index verlor gegenüber dem Höchststand 2020 4,62%. Im Jahresvergleich steht er aber immer noch um rund 10,2 % höher. Die Börsen in China fielen kurzfristig zur Wiedereröffnung nach dem Neujahrsfest um fast neun Prozent- das ist der größte Fall seit der Börsenkrise 2015 -  verzeichneten jedoch bereits in den Folgetagen wieder eine Aufwärtsentwicklung. Die weitere Entwicklung an den Börsen wird wesentlich von den Nachrichten und den daraus gebildeten Zukunftserwartungen abhängen, wie sich die Epidemie auf die Realwirtschaft auswirken wird. Ein Problem stellen dabei wohl die teils irrealen Negativschlagzeilen in den Medien dar, die von der WHO als „Infodemie“ bezeichnet werden.[6]

Realwirtschaft

Asien

Betroffen ist in allererster Linie China. China ist heute wesentlich bedeutender und auch verwobener mit der Weltwirtschaft als zu Zeiten der SARS-Epidemie, seine Wirtschaft hat einen Anteil von fast 20% am weltweiten BIP. Die hauptbetroffene Region Hubei macht aber nur 4,5% der Wirtschaftsleistung Chinas aus.[7] Zudem war die vergangene Woche aufgrund des Frühlingsfestes aus Anlass des chinesischen Neujahrs in China weitgehend arbeitsfrei, und die Feiertage wurden anlässlich der Krise verlängert. Erst die kommenden Wochen werden das Ausmaß auf die Wirtschaft wirklich zeigen können. In erster Linie sind dann personenbezogene Dienstleistungen und kurzfristiger Warenkonsum ebenso wie der Reiseverkehr und Tourismus betroffen. Die nächsten Wochen könnte die Industrieproduktion in China außerhalb der betroffenen Städte noch darunter leiden, dass insbesondere internationale Konzerne den Betrieb einschränken, um das Ansteckungsrisiko Ihrer MitarbeiterInnen zu minimieren.

Aufgrund des Gravitationseffekts ist Asien – und dabei vor allem die China umgebenden Staaten Japan, Singapur etc. – stärker betroffen, da hier die Verflechtung am größten ist und wirtschaftliche Aktivität immer auch unter Reisebeschränkungen leidet.

Rest der Welt

Außerhalb Asiens sind zunächst Flugverkehr und Tourismus, somit Fluglinien, Hotellerie etc. betroffen. Auch hier ist von einem Gravitationseffekt, also größeren Auswirkungen für die Volkswirtschaften in unmittelbarer geographischer Nähe auszugehen. Trotz der steigenden Bedeutung des Tourismus aus China sind die Folgen für die Tourismusbranche in Österreich wohlüberschaubar. Beispielsweise waren 2019 1.464.090 Nächtigungen durch chinesische StaatsbürgerInnen in Österreich zu verzeichnen, das sind nicht ganz ein Prozent aller Nächtigungen.[8] Hinzu kommt, dass TouristInnen aus Europa vermutlich derzeit vermehrt Fernreisen meiden und stattdessen Urlaub in Europa anstreben werden.

Aus China kommen aber auch viele Industrieprodukte, die für den Konsum oder als Vorprodukt bestimmt sind. Disruptionen in der Wertschöpfungskette können die Folge sein. Aufgrund der regionalen Beschränkung der Problematik in China sind vor allem einzelne Firmen betroffen, deren Zulieferer in der Region Hubei ansässig sind, sowie Dependancen internationaler Konzerne, die ihren Betrieb in China vorsichtshalber heruntergefahren haben. Problematisch sind auch Reisebeschränkungen und Unsicherheiten über die weitere Entwicklung, die die wirtschaftlichen Aktivitäten in bzw. Wirtschaftsbeziehungen mit China zumindest in den nächsten Wochen erschweren werden. Hinzu könnte eine Konsum- und Investitionszurückhaltung im Rest der Welt kommen, wenn die Bevölkerung verunsichert ist, was leider aufgrund zahlreicher negativer Sensationsmeldungen der Fall ist.

Eine verlässliche Einschätzung, welche Folgen der Coronavirusausbruch hat, ist schwierig. Es gibt Studien zu SARS, das ebenfalls von einem Coronavirus verursacht wurde und in den Jahren 2002/03 ausbrach. Damals starben rund 800 Menschen an den Folgen des Virus, was einer geschätzten Letalität von 9,6% entspricht. Während SARS erfolgreich eingedämmt wurde, ist die Erkrankung an MERS, welches eine geschätzte Letalität von 34,4% aufweist und bis jetzt ähnlich viele Todesopfer wie SARS forderte, noch möglich. [9][10]  

Eine besonders umfassende Studie zu den wirtschaftlichen Effekten der SARS-Epidemie führten Lee und McKibbin (2004)[11] durch. Sie schätzten diese Effekte auf Basis eines ökonomischen Modells, das internationale Handelsbeziehungen und Auswirkungen der Epidemie auf Konsum- und Investitionsentscheidungen von Haushalten und Unternehmen miteinbezieht. Für China ermittelten sie einen Rückgang des BIP in Folge des Schocks um 1,05%. Legt man diese Schätzung auf die heutige Wirtschaftsleistung von China um, so käme das einem Einbruch um EUR 128 Mrd. Euro gleich. Für umliegende Staaten wie Hongkong, Taiwan und Singapur ergab das Modell ebenfalls merkliche Effekte. Außerhalb Asiens waren die Auswirkungen des SARS-Ausbruchs jedoch deutlich geringerausgeprägt. So wurde für die USA ein Effekt von 0,07% bzw. für den Rest der OECD (inkl. EU) ein Effekt von 0,05% (ca. EUR 13 Mrd. bzw. 8 Mrd. bei heutiger Wirtschaftsleistung) geschätzt.

Tabelle: Einbußen an BIP durch die SARS-Epidemie 2002/03 umgelegt auf heutige Verhältnisse

 

China

USA

Hongkong

Japan

Singapur

Australien

Indien

EU*

BIP 2018 (Mrd. USD)

13.368

20.580

363

4.972

364

1.420

2.719

15.898

Kosten SARS (Mrd. USD)

140,4

14,4

9,5

3,5

1,7

1,0

1,1

 

Kosten SARS (Mrd. EUR)

127,7

13,1

8,7

3,2

1,6

0,9

1,0

7,9

* Effekt für die EU bezieht sich auf geschätzten Effekt für Rest der OECD. Dollarwerte sind mit dem Wechselkurs 29.1.2020 von 0,91 umgerechnet.

Quelle: IHS (2020), basierend auf Lee und McKibbin (2004)

Bei der Bewertung dieser Zahlen unter heutigen Verhältnissen ist Folgendes zu bedenken: SARS dürfte schwerwiegendere Krankheitsbilder und erzeugt und eine höhere Reproduktionszahl gehabt haben als 2019-nCov. China ist heute wesentlich besser vorbereitet, ebenso die Weltgemeinschaft. Bei einer für China prognostizierten realen Wachstumsrate von 5,73% lässt sich ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um 1,05% zudem verkraften.[12] China hat aber wesentlich an Bedeutung für die Weltwirtschaft gewonnen. Schwierigkeiten in dieser Region können zumindest zu einer kurzfristigen Störung vieler Wertschöpfungsketten führen. Insofern stellen die auf 2018 umgelegten Zahlen einen guten Anhaltspunkt dar, welche Folgen für die Weltwirtschaft aus der derzeitigen Ausbreitung von 2019-nCov hervorgehen werden.

Weitere Betrachtungen

Vergleich mit anderen Krankheiten

Es ist verwunderlich, dass Epidemien wie SARS oder der derzeitige Coronavirusausbruch von weltweiter Panik begleitet sind, obwohl die Anzahl sowohl an Erkrankungsfällen als auch an Todesfällen in Europa nahe null liegt. Umgekehrt wäre erhöhte Aufmerksamkeit für Influenza oder Masern wünschenswert. Influenza und insbesondere Masern sind weit ansteckender als 2019-nCov. An Masern starben noch im Jahr 2000 weltweit über eine halbe Million Menschen, 2018 waren es immer noch 142.000.[13] Diese Reduktion war nur durch den Impfschutz erreichbar, welcher jedoch durch die Impfmüdigkeit auch hierzulande wieder bröckelt. Selbst in der WHO-Region Europa forderte die Krankheit daher 2018 wieder 74 Todesfälle.[14]

An Influenza erkranken jedes Jahr je nach Schwere der Grippewelle ein bis mehrere Hunderttausend Menschen in Österreich und einige Tausend (zuletzt in der Saison 2018/19 1.373, 2016/17 sogar 4.436)[15] sterben an den Folgen, obwohl eine Impfung dies in einem hohen Prozentsatz der Fälle verhindern würde.

Rolle der Medien

Die Darstellungen der Epidemie sind in social media, aber bisweilen auch in seriösen Medien nicht objektiv und verstärken die Verunsicherung der Bevölkerung. Dies kann gesundheitlich und wirtschaftlich negative Effekte haben. So scheinen Atemschutzmasken mancherorts ausverkauft - obwohl diese kaum hinreichenden Schutz bieten, da das Virus in erster Linie über die Hände übertragen wird. Wenn die WHO einen „Public Health Emergency of International Concern“ erklärt, wird daraus in vielen Medien ein „weltweiter Gesundheitsnotstand“. Die Erklärung entspricht aber eher einer „akuten Gefährdung der öffentlichen Gesundheit von internationaler Bedeutung“ , womit in erster Linie eine Verstärkung der Koordination von Aktivitäten zur Eindämmung der Weiterverbreitung einhergeht, aber keine Hochstufung der Gefahrenbewertung für die/den Einzelnen.[16] Für die meisten Länder sowie Österreich bedeutet diese Erklärung keine Änderung der bereits ergriffenen Maßnahmen. Ebenso wird der Vergleich mit den SARS-Opfern als Beweis für die höhere Gefährlichkeit von 2019-nCov angeführt, obwohl dies wie erklärt nicht zulässig ist.

Zusammenfassung

Die durch das neuartige Coronavirus 2019-nCov verursachte Erkrankung dürfte medizinisch weniger schwerwiegend sein als SARS und ist derzeit vorwiegend auf China bzw. die Region Hubei beschränkt. Das Land hat heute eine deutlich größere Bedeutung als Teil der Weltwirtschaft und innerhalb der weltweiten Wertschöpfungsketten, ist gleichzeitig aber auch wesentlich besser vorbereitet. Durch geeignete Public-Health-Maßnahmen kann die Epidemie aus heutiger Sicht wahrscheinlich begrenzt werden. Der wirtschaftliche Impact wird daher nach unserer Einschätzung im Rahmen der SARS-Epidemie bleiben. Er wird aber auch von dem Ausmaß an Verunsicherung in der Bevölkerung abhängen, welches letztlich auch vom Verhalten der Medien mitbestimmt wird. Die Wahrnehmung der Coronavirus-Epidemie in ihrer Gefährlichkeit für die individuelle Gesundheit steht nämlich derzeit im Vergleich mit beispielsweise Influenza in keiner Relation zur Gefährdungslage. Der Coronavirusausbruch zeigt aber, dass die globalisierte Gesellschaft und Wirtschaft ein gutes öffentliches Gesundheitssystem benötigt, da Vorfälle dieser Art wohl eher häufiger auftreten werden und dann entschlossen bekämpft werden müssen. 


[1] http://who.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/c88e37cfc43b4ed3baf977d77e4a0667 [Stand 4.2.2020] sowie https://www.medpagetoday.com/infectiousdisease/publichealth/84698 [5.2.2020]

[2] Suszeptibel bedeutet, dass keine Immunität gegenüber dem Erreger besteht.

[3] Li et al. (2020): Early Transmission Dynamics in Wuhan, China, of Novel Coronavirus-Infected Pneumonia. New England Journal of Medicine.

[4] https://www.ecdc.europa.eu/en/novel-coronavirus-china [Stand 4.2.2020]

[5] Die scheinbare Letalität von rund 2% wird durch die Dunkelziffer leichter und daher nicht getesteter Fälle in tatsächlich niedriger sein

[6] www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20200202-sitrep-13-ncov-v3.pdf

[7] Chinesisches Amt für Statistik http://data.stats.gov.cn/english/easyquery.htm?cn=E0103

[8] Statistik Austria „Ankünfte und Übernachtungen nach Herkunftsländern im Tourismusjahr 2019 endgültige Ergebnisse“. [abgerufen 30.1.2020]

[9] Al-Tawfiq, J.A., Gautret, P. (2019): Asymptomatic Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) infection. Travel Medicine and Infectious Disease, 27: 27-32.

[10] Allerdings ist zu bedenken, dass Virusnachweise in vielen asiatischen Staaten und auch in China im Gegensatz zu heute vielfach nicht verfügbar waren, sodass sowohl die Zahl der insgesamten Fälle, aber vor allem der leichten Fälle deutlich unterschätzt sein dürfte. Somit dürfte die tatsächliche Letalität geringer, die Gesamtzahl der Fälle aber deutlich höher gewesen sein.

[11] Lee, J. W., McKibbin, W. J. (2004): Globalization and disease: The case of SARS. Asian Economic Papers, 3(1): 113-131.

[12] https://data.oecd.org/gdp/real-gdp-forecast.htm [4.02.2020]

[13] Informationen der WHO unter https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/measles

[14] https://www.who.int/csr/don/06-may-2019-measles-euro/en/

[15] https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/grippe/ [30.1.2020]

[16] Zum Verfahren siehe https://www.who.int/ihr/procedures/pheic/en/

Der Ursprungsartikel wurde am 31.1 veröffentlicht und entsprechend aktualisiert. (Stand: 05.02.2020)

Interview

Zum Nachschauen: Thomas Czypionka zum Coronavirus in China in der ORF Sendung ECO am Donnerstag, 30.1.