Nachhaltige Entwicklung: Ein neuer, globaler Transformationstypus?

Letzte Woche fand die Wissenschaftliche Fachtagung "Nachhaltige Entwicklung: Ein neuer, globaler Transformationstypus?" in Freiburg statt. Die zweitätige Veranstaltung wurde von der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg organisiert. 

Die generelle Zielsetzung der Fachtagung war, die Frage weiter zu klären, wie, über welche Mechanismen und Transmissionsriemen sich das Leitbild Nachhaltiger Entwicklung in ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte eingräbt und dabei Problemdeutungen, Regulierungsformen und Alltagspraktiken verändert. Folgende Fragen standen dabei im Zentrum: Wer oder was sind die Akteure, Aktanten oder Treiber dieser Veränderung? Welche Art gesellschaftlicher Transformation liegt hier vor und wie unterscheidet sie sich von anderen Transformationsmodellen? Ist das ein historisch neuer Transformationstypus? Setzt er spezifische gesellschaftliche Rahmenbedingungen und (globale) Vernetzungen voraus? Bewegt er sich im Rahmen bestimmter Transformationsgrenzen oder ist er in der Lage, auch „große“, strukturelle Transformationen voranzutreiben?


Diese generelle Fragestellung umfasst zumindest drei Unterfragen:

  • Wie kann das internationale Konzept/Leitbild auf nationaler und lokaler Ebene überhaupt eine gewisse Verbindlichkeit gewinnen? Welche Organisations- und Akteursnetzwerke, Wissensregime und medialen Repräsentationen, rechtlichen Verpflichtungen und praktischen Prozeduren verknüpfen die Diskurs- und Handlungsebene der Vereinten Nationen mit den lokalen Diskurs- und Handlungskontexten? Handelt es sich um einen international koordinierten oder einen dezentralen, polyzentrischen Prozess?
  • Können aus internationalen Verhandlungsprozessen erwachsene Leitbilder in den sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten überhaupt ähnliche soziale und kulturelle Resonanzen erzeugen, einen ähnlichen „Leitbild“-Charakter erlangen? Zeigen sich typische Unterschiede – sowohl regional (in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern) als auch sektoral –, was die gesellschaftliche Rahmung, die politische Nutzung oder auch Instrumentalisierung dieses Leitbilds betreffen? Oder kann es nur in sehr selektiver, problem- und kontextspezifischer Weise für gesellschaftliche Mobilisierungs- und Transformationszwecke genutzt werden? Welche Ambivalenzen weist die Nutzung dieses Konzepts in den jeweiligen Kontexten auf (herrschaftslegitimierend oder Transformationschancen eröffnend)?
  • Wie sind die historischen Verschiebungen im Diskurs und den Umsetzungsparadigmen nachhaltiger Entwicklung zu erklären und welche Folgen haben diese Verschiebungen für die Dynamik von Nachhaltigkeitsprozessen? Auffällig ist die unterschiedliche thematische Akzentsetzung und Umsetzungsstrategie der „Agenda 21“ in den neunziger Jahren, der zur Jahrtausendwende verabschiedeten UN-Millenniumziele (soziale Entwicklung) und der 2015 beschlossenen Sustainable Development Goals. Auffällig ist auch, dass die breite gesellschaftliche Mobilisierung in den westlichen Industrieländern in den 1990er Jahren zwar eine Neuverknüpfung von top down-Strategien und bottom up-Initiativen bewirkt, in den 2000er Jahren dann jedoch rasch an Schwung verloren hat. Nachhaltige Entwicklung mutierte danach auch offiziell zum Leitbild (einer technikorientierten) ökologischen Modernisierung. Ein großer Teil der politisch-gesellschaftlichen Mobilisierung hat sich seit 2007 sowohl auf klimapolitische Initiativen als auch auf kapitalismus- und wachstumskritische Degrowth-Bewegungen verlagert. Die SDGs von 2015 haben bisher dagegen pri-mär auf staatlich-administrativer, partiell allerdings auch auf kommunaler und zivilgesellschaftlicher Ebene (NGOs, Unternehmen) neue Dynamiken entfaltet. Fragen die sich d-ran u.a. anknüpfen sind: Was ergibt sich aus diesen Verschiebungen? Gewinnt das Leitbild nachhaltige Entwicklung seine Gestaltungskraft vor allem im Anschluss an wechselnde gesellschaftliche Problem- und Krisendebatten? Wechseln damit auch immer die „Paradigmen“ (vermeintlich) erfolgreicher Nachhaltigkeitsstrategien (z. B. das derzeit florierende „Nischen-Regime“-Modell)? Oder wächst über die wechselnden Problemperspektiven ein umfassenderes Verständnis der erforderlichen gesellschaftlichen Transformationen?

Die Tagung wollte mit Blick auf die Brüche und Verschiebungen der Nachhaltigkeitsdebatte in den vergangenen 25 Jahren sowie mit Blick auf die Umsetzungsdynamiken in unterschiedlichen Ländern und gesellschaftlichen Kontexten (Industrie-, Schwellen-, Entwicklungsländer) die Besonderheiten dieses leitbildgesteuerten Transformationsprozesses herausarbeiten, seine Voraussetzungen, Ambivalenzen und strukturellen Grenzen klären. Das konnte im Rahmen eines Workshops natürlich nur in Ansätzen passieren. Das weiterführende Ziel ist, durch diesen Workshop die Grundlagen für einen umfassenderen Forschungsverbund zur Klärung dieser Fragen zu schaffen. Für das IHS nahm Beate Littig mit einem Vortrag über die nachhaltigen Zukünfte von Arbeit an der Fachtagung teil.