Zurück in die Zukunft

Das Risiko der Manifestierung von alten Rollenbildern durch Corona

Autorin: Kerstin Grosch

Führt die Corona-Pandemie zu einer Retraditionalisierung von Rollenbildern? Erste Untersuchungen deuten darauf hin.


 

 „Die Frauen werden eine entsetzliche Retraditionalisierung weiter erfahren. Ich glaube nicht, dass man das so einfach wieder aufholen kann und dass wir von daher bestimmt drei Jahrzehnte verlieren“, sagt Jutta Allmendinger über die Auswirkungen der Coronakrise in der Talkshow Anne Will Anfang des letzten Monats.

Die Kita- und Schulschließungen bauen Druck auf Familien aus. Laut einer aktuellen Studie des SORA Instituts (2020) ist jeder zehnte Elternhaushalt derzeit von Arbeitslosigkeit betroffen. 55% der Eltern mussten in den letzten Wochen ihre Arbeitszeit reduzieren. Frauen senken dabei ihre Arbeitsstunden stärker (um ein Drittel auf 19 Stunden) als Männer (um ein Viertel auf 31 Stunden). Die tatsächliche Stundenreduzierung kann natürlich systemimmanente Gründe haben. Allerdings gibt es weitere Hinweise dafür, dass die Aufteilung der zusätzlichen sogenannten „Care-Arbeit“ zu Hause schief zum Nachteil der Frauen liegt – auch in Haushalten, in denen beide Elternteile weiterhin arbeiten.

Ein Bild zeichnet sich beispielsweise bei Frauen in der Wissenschaft ab, die häufig in einer Partnerschaft sind und zwar mit höherer Wahrscheinlichkeit mit einem anderen Akademiker als ihre männlichen Kollegen. Trotz also etwa gleichem Arbeitspensum in ihrem wissenschaftlichen Beruf zeichnet sich gerade ab, dass Frauen im Corona-Lockdown durchschnittlich weniger Diskussionspapiere veröffentlicht haben als ihre männlichen Kollegen (z.B. Andersen et al. 2020).

Aber sind die Frauen in Partnerschaften nicht selbst schuld, wenn sie sich mehr um Kinder und Hausarbeit kümmern und daher ihre Arbeitsleistung reduzieren? Machen sie das nicht freiwillig? Ich möchte im Folgenden Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Forschung von Insight Austria teilen, die zeigt, dass solch eine Argumentation zu kurz greift.

Das Diktatorspiel

Frauen sind sozialer und kooperativer als Männer. Das zeigen viele Studien. Dies liegt allerdings nicht nur in ihrer DNA, sondern wird stark gesellschaftlich geprägt. Eindrücklich können dieses Phänomen Experimente zeigen. Ein Instrument in der Verhaltensökonomie, mit dem soziales Verhalten gemessen werden kann, ist das so genannte Diktatorspiel. In diesem Spiel bekommt eine Person einen Betrag x und man kann entscheiden, ob man von diesem Betrag x einen Anteil y an eine zweite Person weitergeben möchte. Je höher dieser Anteil y ist, desto „prosozialer“ ist eine Person. Frauen sind hier oftmals gebefreudiger als Männer.

Gesellschaftliche Erwartungen beeinflussen das Verhalten von Frauen

Eine Studie von Rand et al. (2016) variiert, wie schnell sich die Versuchspersonen entscheiden müssen wie viel Geld sie von ihrem Kuchen abgeben möchten. Wenn die Versuchspersonen unter Zeitdruck sind, ist der Geschlechterunterschied ausgeprägt und Frauen geben signifikant mehr ab (39%) als Männer (33%). Wenn Frauen aber Zeit haben zu entscheiden, verhalten sie sich weniger prosozial– insbesondere Frauen, die sich eher mit männlichen Attributen identifizieren konnten. Was zeigt uns dieses Ergebnis? Frauen entscheiden unter Zeitdruck intuitiv und beugen sich hier angelerntem und sozialem Erwartungsdruck. Wenn Bedenkzeit gegeben wird und bewusst entschieden werden kann, können stärker eigene Präferenzen und weniger der gesellschaftliche Erwartungsdruck das Verhalten bestimmen.

Insight Austria Studie zu stereotypen Denken bei Kindern

Diese gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen entstehen nicht erst, wenn sie Mütter werden, sondern sind so stark, weil sie bereits im Kindesalter gelebt werden und Mädchen und Burschen sich diesen Erwartungen früh unbewusst anpassen. Auch in Österreich spiegeln sich traditionelle Rollenbilder bei den Kindern wider und wirken sich bereits früh auf ihr Verhalten aus. Insight Austria hat im Rahmen des „Digitalen Lernprojekts 2019“ mit weiteren PartnerInnen Erkenntnisse hierzu in Volksschulen mit ca. 1200 Kindern in dritten Klassen gesammelt. Insgesamt haben 60 Klassen aus Wien und Oberösterreich teilgenommen, die zufällig ausgewählt wurden. (Falls Sie interessiert an weiteren Ergebnissen sind, finden Sie diese hier.)

Stereotypes Denken is schon in der Volksschule ausgeprägt

Stereotype prägen sich früh aus. In unserer Schulstudie haben die Kinder individuell an Deutsch- und Mathematikaufgaben auf Tablets gearbeitet. Hierbei haben sie eine Minute lang jeweils Mathematikaufgaben und eine Minute lang Deutschaufgaben gelöst. Danach wurden die Kinder gebeten aufzuschreiben, wer ihrer Einschätzung nach auf Platz 1, Platz 2 und Platz 3 in den beiden Aufgaben liegt. Auf das Tablet sollten sie dann übertragen, welches Geschlecht diese KlassenkameradInnen haben – Ist es ein Bursch, der auf Platz 1 ist, oder ein Mädchen? Für jede richtige Antwort gab es Punkte, die später in Geschenke eingelöst werden konnten. Während 54% der Mädchen denken, dass ein Bursch auf dem ersten Platz in der Mathematikaufgabe in der Klasse ist, denken dies 84% der Burschen. Eine wichtige Nebeninformation: Burschen und Mädchen haben in unseren Deutsch- und Mathematikaufgaben sehr ähnliche Leistung gezeigt (kein signifikanter Unterschied) und auch im obersten Perzentil der Leistungsverteilung sind ebenso viele Mädchen wie Burschen vertreten.

Wer kann besser bei Hausübungen helfen? - Was Kinder denken

In unserer Schulstudie haben wir auch traditionelle Rollenklischees untersucht. Dies haben wir in Form von „Wer kann besser…?“ abgefragt. Die Kinder konnten auf einer 5-stufigen Skala, von „Frauen können dies besser“ über „beide gleich“ bis hin zu „Männer können dies besser“, antworten.

Kinder im Alter von ca. 9 Jahren zeigen, was man vermuten würde. Rollenstereotype sind schon hier präsent. Bei der Frage „Wer kann besser bei Hausübungen helfen?“ sind sich zumindest die Mädchen einig, dass Frauen hier bessere Fähigkeiten als Männer haben. Wenn es um die sogenannte „Care Arbeit“ im Haus geht sind sich Mädchen und Burschen einig: Frauen können dies besser sagen 39% der Burschen und 27% der Mädchen.
 

Wer besser arbeiten gehen kann und Geld verdienen? Auch da haben Kinder schon sehr eindeutige Vorstellungen. Burschen denken zu 42%, dass Männer besser Geld verdienen können.  Mädchen denken dies nur in 14% der Fälle. Von über 400 Eltern wissen wir übrigens wie viele Stunden sie pro Woche arbeiten. Die Antworten der Kinder sind unabhängig davon, wie viel die eigene Mutter oder der Vater arbeitet. Der Schuleintritt scheint entscheidend, wenn es um die Ausprägung von stereotypem Denken geht.

Gender Gaps im Volksschulalter

Dies zeigt eindrucksvoll eine Zeitreihen-Studie von Bian et al. (2017), welche im renommierten Science Journal erschienen ist. Hier wird deutlich, dass Mädchen sich ab Schuleintritt für weniger genial halten als ihre männlichen Schulkameraden. Vor Schuleintritt halten Mädchen und Burschen ihr eigenes Geschlecht gleichermaßen für das „überlegenere“.  Weitere Studienergebnisse von Carlana (2019) zeigen, dass LehrerInnen mit starkem stereotypen Rollendenken, d.h. „Mädchen können besser Deutsch und Burschen besser Mathematik“, diese auf die Kinder übertragen. SchülerInnen mit stark stereotypisierten LehrerInnen haben schlechtere Mathematiknoten und wählen weniger wettbewerbsintensive weiterführende Schulen. Dies begründet sich in einem weniger starken Selbstbewusstsein dieser Mädchen. Diese Studie zeigt, dass gesellschaftliches Rollendenken sich in tatsächlichem Verhalten der Mädchen widerspiegelt.

Tiefsitzende Geschlechterstereotypen und mögliche Folgen

Mütter können besser pflegen, besser bei den Hausübungen helfen und schlechter Geld verdienen als Väter: Diese Vorstellungen scheinen noch immer durch die Gesellschaft an Kinder herangetragen zu werden, d.h. es ist ein verankertes Rollenbild in unserer Gesellschaft. Dieser Stereotyp kann Auswirkungen auf tatsächliche Entscheidungen oder das Verhalten haben – das Verhalten der Kinder, aber auch das Eltern.

Gerade in Ausnahme- und Stresssituationen wie Corona wird möglicherweise stärker auf erlerntes und unbewusstes Verhalten zurückgegriffen, welches von Stereotypen geprägt sein kann. Das kann wie beim oben dargestellten Diktatorspiel-Experiment dazu führen, dass Frauen sich konform zu den vorherrschenden oder erlernten Stereotypen verhalten. Unabhängig von der tatsächlichen Arbeitszeit der Eltern, denken Kinder, dass sich die Mutter besser kümmern und besser bei Hausübungen helfen kann. Wenn dieses Bild im Kopf der Kinder verankert ist, dann könnte dies dazu führen, dass Kinder ebendies von ihren Müttern erwarten und abfragen. Der Stress für die Mütter nimmt zu.

Ein mehrmonatiges Produktivitätstief werden die Mütter womöglich nicht so einfach aufholen können. Belastbare Ergebnisse zu den tatsächlichen Folgen von Corona auf Karriereeinbußen von Frauen im Vergleich zu Männern werden erst in ein paar Monaten, wenn nicht Jahren, vorliegen. Bis dahin fände ich es ratsam die Alarmsignale wahrzunehmen, zu diskutieren und darauf zu reagieren, um nicht möglicherweise drei Jahrzehnte zurückgeworfen zu werden. Was meinen Sie?


Literatur

Andersen, J. P., Nielsen, M. W., Simone, N. L., Lewiss, R. E., & Jagsi, R. (2020). Meta-Research: Is Covid-19 Amplifying the Authorship Gender Gap in the Medical Literature? arXiv preprint arXiv:2005.06303.

Bian, L., Leslie, S. J., & Cimpian, A. (2017). Gender stereotypes about intellectual ability emerge early and influence children’s interests. Science355(6323), 389-391.

Carlana, M. (2019). Implicit stereotypes: Evidence from teachers’ gender bias. The Quarterly Journal of Economics134(3), 1163-1224.

Rand, D. G., Brescoll, V. L., Everett, J. A., Capraro, V., & Barcelo, H. (2016). Social heuristics and social roles: Intuition favors altruism for women but not for men. Journal of Experimental Psychology: General145(4), 389.

 

Titelbild: Ketut Subiyanto (gefunden auf www.pexels.com)