Das Verbrechen am Essen

Zur Reduktion häuslicher Lebensmittelabfälle

Autorin: Andrea Vogler

Welche Lebensmittel sind bei Ihnen in letzter Zeit im Müll gelandet? Lebensmittelabfälle sind nicht nur ein großes Ärgernis, sondern auch eine ernstzunehmende ökologische Herausforderung. In diesem Beitrag werden Erkentnisse der Verhaltensökonomie herangezogen, um dieses Ärgernis potentiell zu reduzieren.

“Iss zaum, sonst muaß is in Kübe haun”, sind Worte meiner Großmutter, die mir in den Ohren klingen. Anders als meine Großmutter bin ich aber in einer Überflussgesellschaft aufgewachsen und pflege einen weniger sorgsamen Umgang mit Lebensmitteln. Damit bin ich nicht alleine: Verma, de Vreede, Achterbosch & Rutten (2020) schätzen Lebensmittelabfälle auf weltweit durchschnittlich 527 verschwendete Kilokalorien pro Person und Tag. Damit könnte man sagen, dass durchschnittlich jede Person weltweit täglich zwei bis drei Semmeln in den Müll wirft. Je später in der Wertschöpfungskette Abfälle anfallen, desto mehr Ressourcen wurden bereits investiert. Für häusliche Lebensmittelabfälle bedeutet das, dass Ressourcen von der Landwirtschaft, über die Produktion, Verarbeitung, bis hin zum privaten Einkauf, Transport und Lagerung verschwendet wurden. In diesem Beitrag werfe ich einen Blick durch die verhaltensökonomische Linse auf Lebensmittelabfälle und Lösungsstrategien, um eine solche Ressourcenverschwendung am Ende der Wertschöpfungskette einzudämmen.

Mind-Behaviour Gap bei Lebensmittelabfällen

Die Emotionen, die VerbraucherInnen mit Lebensmittelabfällen assoziieren, reichen von Ekel, Ärger und Frustration, bis hin zu Hass, Angst und Schuldgefühlen. Wir alle sind uns wahrscheinlich einig, dass das Wegwerfen von Lebensmitteln unangebrachtes Verhalten ist. Daher ist die Intention vieler Menschen hoch, Abfälle zu reduzieren. Jedoch schlägt der Mind-Behaviour Gap einen Graben zwischen dem Willen und tatsächlichem Verhalten: Allgemeine Einstellungen und Intentionen in Bezug auf Lebensmittelabfälle sind häufig kein guter Indikator, um eine tatsächliche Änderung im Verhalten zu messen, d.h. Lebensmittelabfälle real zu verringern (Vermeir & Verbeke, 2006; Insight Austria & Karmasin Research & Identity, 2018).

Die lange Beziehung von Lebensmitteln und VerbraucherInnen

Eine zentrale Herausforderung bei Verhaltensänderungen zur Lebensmittelabfallvermeidung ist die Vielfalt an Situationen, die damit zusammenhängen. Lebensmittelabfälle entstehen nicht durch eine einzelne Entscheidung. In dem Moment, in dem wir vor der Mülltonne stehen, ist es in der Regel schon „zu spät“: Das Produkt muss wegen Ungenießbarkeit entsorgt werden. Vielmehr sind dieser Situation eine ganze Reihe an Entscheidungen und Verhaltensweisen vorgelagert – angefangen bei der Vorbereitung des Lebensmitteleinkaufs, über den Einkauf, die Aufbewahrung und Lagerung, die Zubereitung, bis hin zum Umgang mit Essensresten.

Schmidt (2016) und Schanes, Dobernig & Gözet (2018) haben in diesen Handlungsbereichen unter anderem folgende Verhaltensweisen zur Reduktion von Lebensmittelabfällen identifiziert:

  • Sorgfältige Planung des Lebensmitteleinkaufs
  • Prüfung der Lebensmittelvorräte vor dem Einkauf
  • Vermeiden von impulsiven Käufen (etwa aufgrund von Angeboten wie „nimm 2, zahl 1“)
  • Vermeiden von Großpackungen, wenn diese nicht gebraucht werden
  • Vermeiden von der Entsorgung genießbarer Produkte
  • Angemessene Aufbewahrung und Lagerung von Lebensmitteln
  • Weiterverwertung von Essensresten

Handlungswissen vermitteln

Maßnahmen zur Reduzierung von Müll beinhalten häufig einfache Informationsvermittlung. Allgemein gehaltene Informationen sind dabei aber wenig effektiv. Auch Informationen an Personengruppen unter Anwendung soziodemografischer Faktoren sind umstritten. Eine Einteilung anhand von Alter, Anstellung, Bildungsgrad, Haushaltsgröße etc. hilft nicht unbedingt dabei, Informationen zielgruppengerecht zu gestalten (Abrahamse & Matthies, 2012; Schanes et al., 2018). Eine wirkungsvollere Strategie zur Förderung von Verhaltensänderungen sind Informationen, die gezielt auf aktuelles Verhalten abgestimmt sind.

Den Startpunkt kennen, um einen Weg zu finden

Schmidt (2016) hat in einer Studie verschiedene Maßnahmen zur Lebensmittelverschwendung experimentell untersucht. Die Basis für diese Maßnahmen waren selbst-berichtete Verhaltensweisen der TeilnehmerInnen im Umgang mit Lebensmitteln in einem Vorab-Fragebogen. Etwa gaben die TeilnehmerInnen an, wie sorgfältig sie den Lebensmitteleinkauf planen, ob sie im Supermarkt mehr kaufen als geplant oder wie häufig sie noch verzehrbare Essensreste entsorgen. Die ca. 200 TeilnehmerInnen wurden zufällig einer Experimentalgruppe und einer Kontrollgruppe zugeordnet. Die Experimentalgruppe erhielt im Anschluss Handlungsempfehlungen und Hinweise, die speziell auf ihre Angaben im Vorab-Fragebogen zugeschnitten waren. Informationsüberfluss und Überforderung können so vermieden, und die Aufmerksamkeit auf wenige für die Person relevante Informationen gelenkt werden. Hinweise waren etwa „Entsorgen Sie abgelaufene Lebensmittel nicht sofort. Testen Sie die Verzehrbarkeit stattdessen mit Ihren Augen, Ihrer Nase und Ihrem Mund und entscheiden dann“, oder „Verschaffen Sie sich regelmäßig einen Überblick über Ihre Lebensmittelvorräte“. Direkt im Anschluss an die Intervention gaben die TeilnehmerInnen an, ob sie die Maßnahmen umsetzen würden. Die Kontrollgruppe erhielt keinerlei Informationen zur Lebensmittelvermeidung. Vier Wochen später zeigte sich in einer erneuten Befragung 1) eine Erhöhung der wahrgenommenen Fähigkeit, Lebensmittelabfälle zu vermeiden und 2) eine berichtete Reduktion der Lebensmittelabfälle in der Experimentalgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Digitale Technologien zur Unterstützung

Eine weitere Möglichkeit können digitale Technologien bieten, um Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Schanes et al. (2018) schlagen auf Basis einer umfassenden Literaturanalyse vor, mobile Applikationen zu nutzen, um einen Überblick zu bestehenden Vorräten zu bewahren, oder auch, um Fähigkeiten im Umgang mit Lebensmitteln zu bilden (z.B. freundschaftliche Wettbewerbe, Rezeptideen zur Verwertung von Essensresten, Tipps zur Aufbewahrung von Lebensmitteln). Bei intensiver Nutzung könnten sie außerdem Ausgangsbasis für Feedback zum Umgang mit Lebensmitteln und maßgeschneiderten Informationen sein. Beispielsweise kann die App beim Einkauf daran erinnern, welche Lebensmittel noch gelagert sind oder welche bald verzehrt werden sollten. Auch die Analyse von von Kameke & Fischer (2018), dass konkrete Hinweise zur Planung von Mahlzeiten gut aufgenommen werden. Mobile Applikationen können hierfür ideal genutzt werden.

Positive Effekte verhaltensökonomischer Maßnahmen haben sich nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern auch in vielen Bereichen umweltbewussten Verhaltens (z.B. Reduktion des Energieverbrauchs) gezeigt. Da nicht jeder Tag von großmütterlichen Weisheiten begleitet sein kann, bringt dieser Beitrag (hoffentlich!) verhaltensökonomische Inspiration für eine Zukunft mit einem sorgsamen Lebensmittelumgang.

Literatur

Abrahamse, W., & Matthies, E. (2012). Informational strategies to promote proenvironmental behaviour: Changing knowledge, awareness and attitudes. In Environmental Psychology: An Introduction: Wiley-Blackwell.

Insight Austria & Karmasin Research & IDentity. (2018). The mind behaviour gapOnline PDF hier.

Porpino, G., Wansink, B., & Parente, J. (2016). Wasted Positive Intentions: The Role of Affection and Abundance on Household Food Waste. Journal of Food Products Marketing, 22(7), 733-751. doi:10.1080/10454446.2015.1121433

Schanes, K., Dobernig, K., & Gözet, B. (2018). Food waste matters – A systematic review of household food waste practices and their policy implications. Journal of Cleaner Production, 182, 978-991. doi:https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2018.02.030

Schmidt, K. (2016). Explaining and promoting household food waste-prevention by an environmental psychological based intervention study. Resources, Conservation and Recycling, 111, 53-66. doi:https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2016.04.006

Verma, M., de Vreede, L., Achterbosch, T., & Rutten, M. (2020). Consumers discard a lot more food than widely believed: Estimates of global food waste using an energy gap approach and affluence elasticity of food waste. PLoS ONE. doi:https://doi.org/10.1371/journal.pone.0228369

Vermeir, I., & Verbeke, W. (2006). Sustainable Food Consumption: Exploring the Consumer “Attitude – Behavioral Intention” Gap. Journal of Agricultural and Environmental Ethics, 19(2), 169-194. doi:10.1007/s10806-005-5485-3

von Kameke, C., & Fischer, D. (2018). Preventing household food waste via nudging: An exploration of consumer perceptions. Journal of Cleaner Production, 184, 32-40. doi:https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2018.02.131

Titelbild von Anita Jankovic von der Webseite Unsplash