Durchlauferhitzer für ein „monastisch exklusives Korps“

Die Scholarinnen und Scholaren des IHS

Autor:innen: Andreas Huber, Clelia Castellucci, Thomas König

Die Gründung des IHS 1963 erfolgte mit dem Ziel, in Österreich moderne, empirische Sozialwissenschaften zu etablieren. Der Weg dorthin: Hoffnungsfrohe Talente sollten im Rahmen zweijähriger Postgraduierten-Programme von international renommierten Forscherinnen und Forscher ausgebildet werden und ihre Kenntnisse danach im Wissenschafts- und Universitätsbereich, im Unternehmens- und Bankensektor, in der höheren Verwaltung und anderen Gesellschaftsbereichen anwenden und vermitteln. Die Bezeichnung für diese Auszubildenden lautete „Scholaren“ und „Scholarinnen“ (von letzteren gab es anfangs nur wenige) – wie die Programme selbst hielt sich diese Bezeichnung bis 2015.

1964 fand sich nun der erste Jahrgang an Scholarinnen und Scholaren in der Stumpergasse 56 im sechsten Wiener Gemeindebezirk ein. Drei Fächer standen zur Auswahl: Soziologie, Politikwissenschaft und Ökonomie. Später sollten noch Betriebswirtschaft sowie Mathematisch Methoden und Computerverfahren hinzu; diese beiden hatten aber nicht lange Bestand. Nach Vorstellungen des ersten IHS-Geburtshelfers und Soziologen Paul F. Lazarsfeld hätte die Ökonomie, die im Gegensatz zu den beiden anderen Fächern bereits als Leitwissenschaft an den österreichischen Universitäten verankert war, übrigens gar nicht am IHS angesiedelt werden sollen. Aber ihre Berücksichtigung erwies sich in den langjährigen Wirren der Institutsgründung (die 1957 begonnen hatten!) als weitsichtiger Schachzug: Der renommierte und ebenfalls emigrierte Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern stellte sich als zweiter Gründungsvater bereit; er verfügte über wichtige Kontakte zur ÖVP, während Lazarsfeld der SPÖ nahestand.

Morgenstern hatte dann auch wesentlichen Anteil an der Gestaltung des IHS in seinen frühen Jahren. Und – im Gegensatz zu Lazarsfeld – hatte er auch eine klare Vorstellung davon, was die Gruppe der Auszubildenden am IHS darstellen sollte. Im Mai 1965 formulierte er es recht drastisch: „ein monastisch exklusives Korps“ solle hier gebildet werden. Freilich: Ob sich dieser Wunsch bewahrheitete und was generell aus den rund 1.070 Frauen und Männern wurde, die ab 1964 bis Mitte der 2010er-Jahre die Postgraduierten-Programme durchliefen, ist bislang weitgehend unerforscht – ein Umstand, den wir momentan zu ändern versuchen (Forschungsprojekt "Die Schmiede sozialwissenschaftlicher Eliten").

Unsere Erhebungen zu den Berufslaufbahnen sind derzeit noch im Gange, aber wir können bereits erste deskriptive Statistiken präsentieren. Das IHS nahm in der Regel in jedem zweiten Jahr bis zu 50 Scholarinnen und Scholaren auf, die sich relativ gleichmäßig auf die drei traditionellen Abteilungen verteilten, mit einem leichten Übergewicht zugunsten der Ökonominnen und Ökonomen. Dies änderte sich erst Mitte der 1990er-Jahre, als das Pendel zunehmend in Richtung der Ökonomie ausschlug – und wohl kaum zufällig mit dem Beginn des Direktorats von Bernhard Felderer zusammenfällt, der das Institut insgesamt stärker im Bereich der (auch angewandten) Wirtschaftsforschung zu positionieren begann. Von 2006 bis 2015 (gemessen am Jahr des Ausbildungsstarts) bildete das IHS 55 Graduierte in den Fächern Soziologie und Politikwissenschaft, aber 130 in der Ökonomie aus. Als die Programme eingestellt wurden, war fast die Hälfte der Alumni der Ökonomie zuzurechnen.

Das Postgraduiertenprogramm am IHS war in den 1960ern ein europaweites Novum und bis zu einem hohen Grad Garant für exzellente Jobaussichten, und das trotz des Umstandes, dass das Diplom des IHS bis zuletzt nur informellen Wert besaß – es war also keinem akademischen Grad gleichzustellen und wurde auch sonst in keiner Weise staatlich zertifiziert. Das Programm war zudem (vor allem in den ersten drei Dekaden) sehr gut mit Stipendien dotiert. Dennoch gab es auch Personen, die die Ausbildung abbrachen: Unseren vorläufigen Ergebnissen zufolge lag die Drop-Out-Rate bei etwa 15 Prozent. Verhältnismäßig hoch war sie vor allem in den Anfangsjahren – wahrscheinlich eine unmittelbare Folge des großen Chaos, in dem sich das Institut nach seiner Gründung befand (mehr dazu hier). Auch ab den 2000ern sehen wir wieder mehr Abbrüche – was auf einen allmählichen Bedeutungsverlustes der Programme hindeuten könnte. Bemerkenswerterweise hatte das Diplom des IHS bis zuletzt nur informellen Wert, war also keinem akademischen Grad gleichzustellen und wurde auch sonst in keiner Weise staatlich zertifiziert.

Wer nach zwei (oder drei) Jahren das Abschlusszeugnis in Händen hielt, heuerte häufig bei Universitäten, Banken oder Wirtschaftsunternehmen an. Immerhin 24 Prozent der nunmehr frisch Ausgebildeten blieben am Institut – zumindest für eine gewisse Übergangszeit, etwa als Assistent oder Abteilungsleiterin. Manche von ihnen blieben länger: Im Jahr 2020 waren noch 19 ehemalige Scholaren und Scholarinnen am IHS beschäftigt – knapp jede/r siebente/r Mitarbeiter/in. Unsere Auswertungen zeigen, dass mehr als die Hälfte das Institut nach einem maximal dreijährigen Anstellungszeitraum verließ. Der Absolvent Christian Helmenstein hat dafür in einer Diskussion einmal die Funktion des IHS als „Durchlauferhitzer“ bezeichnet. Das ist etwas prosaischer als das, was Oskar Morgenstern sich einst vorgestellt hat – aber der hohen Verbundenheit, die viele Absolventinnen und Absolventen dem IHS entgegenbringen, tut es keinen Abbruch.


Die Ausarbeitung dieses Textes erfolgte im Rahmen des OeNB Projektes „Schmiede sozialwissenschaftlicher Eliten“.