Menschen, Dinge, Natur: Drei Dimensionen der Digitalität

Public Lecture von Felix Stalder

Digitalität ist gekennzeichnet durch eine enorme Erweiterung der Positionen, die in die mal mehr mal weniger konfliktreiche Verhandlung normativer Fragen (etwa, wer sind wir und was ist uns wichtig?) einfließen. Große historische Entwicklungen – Entstehung der Wissensökonomie, soziale Liberalisierung und Globalisierung – schufen ab den 1960er Jahren dafür den Raum und brachten bestehende Verfahren und Institutionen der Wissensordnung und der Repräsentation in die Krise. Denn sie sind nicht dafür ausgelegt, mit dieser Fülle an Positionen umzugehen. Parallel dazu schuf  Digitalisierung eine neue Kommunikationsinfrastruktur, die darauf ausgerichtet ist, mit sehr großen Informationsmengen umzugehen und eine sehr hohe interne Komplexität zu organisieren.

Soziale und technische Entwicklungen erweitern aber nicht nur der Kreis der menschlichen Positionen, die sich sie artikulieren können (aber dabei natürlich nicht immer gehört finden). Sie geben auch immer mehr Gegenständen die Fähigkeit, ihre Umwelt wahrzunehmen, diese Wahrnehmung zu analysieren und die Resultate dieser Analyse in irgendeiner Weise, wieder in die Umwelt einzuspeisen. Und sei es nur als Schranke, die sich öffnet, wenn man sich eine autorisierte Person nähert. Auch immer mehr biologische Akteure und Systeme werden mit Hilfe von Sensoren und Prozessoren in die digitale Kommunikationsraum eingebunden, von einzelnen Insekten bis zu umfassenden Meeresströmungen.

Nebst allen Gefahren für bestehende demokratische und ökologische Systeme, die diese Entwicklungen mit sich bringen, so schaffen sie auch die Voraussetzungen, um ein differenzierteres und komplexeres Verständnis biologischer Systeme und der Einbettung menschlicher Gemeinschaften darin zu entwickeln. Diese Aufgabe ist heute dringlicher denn je.

Bio:

Felix Stalder ist Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung an der Zürcher Hochschule der Künste, Vorstandsmitglied des World Information Institute in Wien, Mitglied des freien Forschungsprojekt "Technopolitics" und langjähriger Moderator der internationalen Mailingliste <nettime>. Er beschäftigt sich mit dem Wechselverhältnis von Gesellschaft, Kultur und Technologien, und forscht u.a. zu Digitalität, Netzkultur, Urheberrecht, Commons, Privatsphäre, Kontrollgesellschaft und Subjektivität. Zuletzt erschienene Bücher : "Deep Search: The Politics of Search Beyond Google" (2009), "Digital Solidarity" (2013)", "Der Autor am Ende der Gutenberg Galaxis" (2014) und "Kultur der Digitalität" (Suhrkamp, 2016), das als "Digital Condition" (Polity Press, 2018) in englischer Übersetzung erschienen ist.

Moderation: Beate Littig

Begrüßung: Martin Kocher und Friedrich Schmoll, Chief Digital Officer, Umweltbundesamt Wien

Kommentar: Sepp Hackl, Leiter der Abteilung Nachhaltige Entwicklung, Umweltbundesamt Wien

Abstract

Die Darstellung von Umweltbildern in Medien erzeugt bei den Rezipienten unterschiedliche Wahrnehmungen und damit Wirklichkeiten von Umwelt. Zum einen werden sie von Bildern zu Umweltereignissen (Überflutungen, Trockenperioden, Muren…) im Sinne einer lokalen, regionalen Verortung angesprochen, das erhöht deren Sensibilität für Klimaveränderung. Zum anderen: kann es gelingen Menschen über erschreckende Bilder zur Umweltverschmutzung, Plastikentsorgung zu konkreten und ausreichenden Handlungsschritten anzuregen?
Im Zeitalter der Digitalisierung geht es um viel mehr als nur die Veränderung der Umweltwahrnehmung und einer Aufforderung zu Handeln. Wir befinden uns in einer allumfassenden Vernetzung von Systemen & Prozessen, in der digitale Technologien zunehmend kognitiv agieren bzw. digitale Systeme wie Roboter, Fahrzeuge sich autonomer verhalten (vgl. WBGU 2019, S.5). Menschen sind dabei nicht mehr nur Empfänger von Umweltbildern, sondern über die Interaktion mit Alltagstechnologien, wie dem Smartphone, Tablet etc. findet permanent und überall ein reziproker Austausch zwischen Mensch, digitalen Technologien und Umwelt statt.
Dieser Prozess der digitalen Technologisierung der Natur wirft Fragen nach einer möglichen neuen Art von Herrschaft der Natur auf. Lawinenwarnsysteme, Tsunamifrühwarnsysteme, Apps zu Wetterlagen, Luft- und Wassergütemessungen, scheinen auf den ersten Blick die Natur beherrschbar und vorhersehbar zu machen. Nichtsdestotrotz ist es die Natur selbst, Erosion der Böden, Flutungen, die den Rahmen der Lebensbedingungen schaffen und die Menschen gleichermaßen „beherrscht“. 
Trotz allem bieten digitale Technologien auch Chancen und Möglichkeiten an Naturerfahrungsräumen teil zu haben (City Oasis App, Live Tracking von Mountainbike und Laufstrecken) und entwickeln durchaus demokratiepolitisches Potential.
Angesichts rasanter, manchmal unvorhersehbar und ungeahnter Folgen der Digitalisierung im Umweltbereich steht die Forderung nach einer internationalen Governance im Raum, um einen Beitrag zu den globalen Nachhaltigkeitszielen zu leisten und eine globale Transformation zur Nachhaltigkeit zu erreichen (WBGU 2019).

Referenzen:
WBGU (2019). Digitales Momentum für die UN- Nachhaltigkeitsagenda im 21. Jahrhundert, Politikpapier Nr.10, Juni 2019, Berlin.

Sepp Hackl studierte Forstwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien und Mediation an der Alpen Adria Universität Klagenfurt. Schwerpunktmäßig befasst er sich mit der gruppenspezifischen Entwicklung von Orientierungshilfen (z.B. Leitfäden, Indikatoren), die eine Balance zwischen sozialen und ökonomischen Bedürfnislandschaften der Menschen und der Ökologie ermöglichen und eine Transformation der Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung unterstützen. Er ist u.a. Mitinitiator der homepage www.nachhaltiger-sport.at sowie eines Selbstbewertungstools für nachhaltige Jagd und moderiert gemeinsam mit Univ.Prof. Helga Kromp-Kolb die Veranstaltungsreihe Mut zur Nachhaltigkeit.

Anmeldungen per Mail an event@ihs.ac.at.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der Universität Wien und dem Umweltbundesamt statt.