Digital Nudge - Wie man digital kluge Entscheidungen anstößt

Autorin: Alina Knaub

Beim Frühstück scrollen wir durch die Nachrichten auf dem Smartphone, auf dem Weg zum Bahnhof kaufen wir noch schnell das Zugticket in der mobilen App, und abends machen wir es uns mit Netflix auf der Couch gemütlich. Unser Leben ist durchzogen von Digitalisierung, ohne dass es uns immer bewusst ist. Investment-Apps, E-Government, E-Learning, Online-Dating - Die Digitalisierung durchdringt immer mehr Bereiche unseres Lebens. Spätestens seit der COVID-19-Pandemie verbringen wir einen großen Teil unserer Zeit in der digitalen Welt.

In Zeiten des Social Distancings verlagert sich vor allem die Kommunikation in den digitalen Raum – sei es beruflich oder privat. Statistik Austria liefert die Zahlen: Bei einer Befragung zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien von April bis Juni 2020, gaben rund 60 % der ÖsterreicherInnen im Alter von 16 bis 74 Jahren an, in den letzten drei Monaten über das Internet telefoniert zu haben (Statistik Austria, 2020). Messaging-Dienste und soziale Netzwerke weisen durch die Pandemie ebenfalls eine erhöhte Nutzungsintensität auf (Statista, 2021a).

Auch Freizeit und Konsum finden zunehmend vor dem Bildschirm statt

Ihre Freizeit verbringen viele ÖsterreicherInnen nicht nur gerne auf Facebook, Instagram und Co., sondern auch auf Video-Streaming-Plattformen. 38 % der befragten Bevölkerung nutzten Dienste wie Amazon Prime oder Netflix (Statistik Austria, 2020). Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass allein Netflix weltweit über 200 Millionen registrierte NutzerInnen verzeichnet (Statista, 2021b).

Auch der Online-Konsum boomt: Zwischen April und Juni 2020 gaben 56 % der befragten ÖsterreicherInnen im Alter von 16 bis 74 Jahren an, innerhalb der letzten 3 Monate das Internet zum Online-Einkauf genutzt zu haben (Statistik Austria, 2020). In den letzten 12 Monaten waren es sogar 66 %, wobei die jüngere Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen noch eins drauflegt: ganze 87,4 Prozent haben im vorigen Jahr online eingekauft (Statista, 2020).

Das Leben findet also vermehrt vor Bildschirmen statt. Das hat zur Folge, dass wir ständig Entscheidungen in digitalen Umgebungen treffen müssen. Wie treffen wir diese Entscheidungen? Was beeinflusst sie? Die Verhaltensökonomik weiß hier mehr.

Entscheidungsarchitektur und Digital Nudging

Entscheidungen hängen von der sogenannten „Entscheidungsarchitektur“ ab. Das heißt, je nachdem auf welche Weise verschiedene Optionen präsentiert werden, ändern sich die Entscheidungen der KonsumentInnen. Ein Beispiel:  Produkte auf Augenhöhe im Supermarkt werden eher ausgewählt als in Bodennähe. Die Platzierung der Produkte (das ist die Entscheidungsarchitektur) beeinflusst also, für welche Produkte sich KonsumentInnen eher entscheiden.  Die bewusste Gestaltung der Entscheidungsarchitektur zur Veränderung des BenutzerInnenverhaltens fällt unter den Begriff „Nudging“. Dieses englische Wort bedeutet soviel wie „kleiner Schubs“.

Insbesondere im digitalen Raum werden Entscheidungsarchitekturen bewusst eingesetzt, um Entscheidungen zu verändern. Digital Nudging bezeichnet das gezielte Design von Elementen auf Benutzeroberflächen (z.B. Webseiten oder Apps), um das Verhalten von BenutzerInnen in digitalen Entscheidungskontexten zu leiten und zu beeinflussen.

Die Alternative zum Nudging wäre es, die Entscheidungsarchitektur dem Zufall zu überlassen oder nach anderen Kriterien zu gestalten - beispielsweise nach der Ästhetik der Benutzeroberfläche. Aber auch diese Gestaltung hätte einen Einfluss auf die BenutzerInnen. Eine Entscheidungsarchitektur kann nicht nicht das Verhalten von Menschen beeinflussen.

Warum Nudging gerade im digitalen Raum relevant ist

Aufgrund der großen Menge an verfügbaren Informationen in Online-Umgebungen und auf digitalen Oberflächen, sind BenutzerInnen meistens nicht in der Lage, alle Informationen zu verarbeiten. Stattdessen entscheiden sie oftmals intuitiv und verwenden dabei Heuristiken, eine Art kognitive Daumenregeln, die ein Urteil auf Basis von nur wenigen Informationen ermöglichen. Durch dieses intuitive Entscheiden werden jedoch häufig nicht optimale Entscheidungen getroffen. Der digitale Raum ist aufgrund der Fülle an Informationen daher besonders anfällig für suboptimale Entscheidungen.

Digital Nudging für den KäuferInnenschutz

Auch wenn die Forschung zu Nudging im digitalen Bereich noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es schon einige aufschlussreiche Erkenntnisse. Zum Beispiel untersuchten Esposito et al. (2018) in einer experimentellen Studie wie digitale Nudges dafür sorgen können, dass KundInnen beim Online-Shopping von digitaler Software wirklich nur kompatible Produkte kaufen, also Fehlkäufe vermeiden. (Weitere Informationen zur experimentellen Methode im Allgemeinen finden Sie hier.) Bei einem Laborexperiment am Computer mit 626 TeilnehmerInnen aus Spanien wurde ein Nudge in Form eines Warnhinweises vor dem Kaufabschluss getestet. Den TeilnehmerInnen wurde in der simulierten Kaufsituation entweder

  • kein Warnhinweis, 
  • ein einfacher Warnhinweis, der sachlich auf mögliche Kompabilitätsprobleme hinweist („Please ensure that the product you are buying is compatible with the devices and systems you use“),
  • oder ein Warnhinweis mit Bezug zu negativen Gefühlen („To avoid disappointment, please ensure that the product you are buying is compatible with the devices and systems you use“), gefolgt von einem traurigen Emoticon, angezeigt. 

Im Vergleich zur Kontrollgruppe, der kein Warnhinweis angezeigt wurde, stellte sich nur der emotionsbasierte Warnhinweis als wirksam heraus. Der einfache Warnhinweis hingegen reduzierte die Anzahl an Fehlkäufen nicht signifikant. 

Dieses einfache Experiment zeigt, dass es wichtig ist, verschiedene Entscheidungsarchitekturen (Nudges) vorab zu testen, um zu beobachten, welche Variante tatsächlich zu den gewünschten Entscheidungen führt (hier: weniger Fehlkäufe). Nur wenn experimentell mit Versuchs- und Kontrollgruppe getestet und das TeilnehmerInnenverhalten verglichen wird, können Erkenntnisse gesammelt werden, welche Nudges im digitalen Raum wie wirken.

Ist Digital Nudging ethisch?

So weit, so gut. Das empirische Beispiel zeigt: Digital Nudging kann wirksam sein. Aber sollte es immer und überall eingesetzt werden? Oder gibt es Digital Nudges, bei denen ethische Bedenken angebracht sind?

Trotz des weiten Gebrauchs von Digital Nudging und dem bewussten Einsatz von Entscheidungsarchitekturen gibt es Kritikpunkte. Ein häufiger Kritikpunkt ist die Manipulation von Entscheidungen: z.B. haben Unternehmen das Potenzial von Digital Nudging erkannt, um KonsumentInnen zu bestimmtem Kaufverhalten zu animieren. Ein Beispiel: Die Erzeugung künstlicher Knappheit („scarcity effect“). Beim Online-Shopping oder bei der Auswahl eines Hotelzimmers online, bewegt der Verweis auf eine begrenzte Anzahl an Produkten oder Hotelzimmern („Nur noch ein Zimmer verfügbar“), KonsumentInnen zum schnellen – und möglicherweise überstürzten – Kaufabschluss. Das ethische Problem bei diesem Nudge: Unternehmen setzen ihn nicht im Interesse der KonsumentInnen ein, sondern als Mittel zur Profitsteigerung. Das kann sie langfristig gesehen das Vertrauen der Zielgruppe kosten.

Es liegt im Interesse aller AkteurInnen, bestimmte Grundregeln beim Einsatz von Nudges einzuhalten. Es bestehen bereits weit anerkannte Richtlinien für den ethischen und wirksamen Einsatz von Nudging (OECD, 2019). Damit digitale Nudges ethisch unbedenklich sind, sollten zumindest drei Richtlinien eingehalten werden (Thaler und Sunstein, 2010; Lembcke et al., 2019):

  1. Die Entscheidungsfreiheit des Individuums sollte erhalten bleiben. Das bedeutet, dass es immer und ohne große Anstrengung möglich ist, anders zu handeln, als es der Nudge vorschlägt.
  2. Nudges sollten transparent sein. Das heißt, sie sollten von der Zielgruppe leicht zu erkennen sein und die Zielsetzung des Nudges muss nachvollziehbar sein.
  3. Der Einsatz von Nudges ist nur gerechtfertigt, wenn er im Interesse von Individuen und/oder der Gesellschaft erfolgt. Wenn keine Information zu individuellen Präferenzen vorliegt, kann es legitim sein, generalisierende Annahmen zu treffen wie z.B. „alle Menschen möchten gesund sein“.

Wie sehen also ethisch vertretbare Nudges im digitalen Raum aus? Sprachlern- oder Fitness-Apps sind ein gutes Beispiel. Erinnerungsnachrichten, das Sammeln von Punkten und der Erhalt einer Art Belohnung beim Erreichen einer bestimmten Punktzahl sind akzeptierte Nudges. Die freie Wahl der BenutzerInnen bleibt erhalten, die Zielsetzung der Nudges ist eindeutig und der Nudge erfolgt zu ihrem eigenen Wohl. Der entscheidende Punkt: Die BenutzerInnen haben sich bereits zu ihrem Verhaltensziel bekannt. Die eingesetzten Nudges helfen ihnen dabei, ihre selbstgesteckten Ziele, was das Sprachenlernen oder das Sportprogramm angeht, leichter zu erreichen. BenutzerInnen verhalten sich durch die Nudges eher im eigenen Interesse, anstatt sich ihrem inneren Schweinehund zu ergeben.

Im gesellschaftlichen (und auch im individuellen) Interesse liegt beispielsweise auch die Reduzierung von Hatespeech. Auch hierfür gibt es Nudges, welche die Entscheidungsarchitektur auf ethische Weise verändern.

Mehr Forschung notwendig

Digital Nudging kann BenutzerInnen dabei helfen, Entscheidungen zu treffen, die in ihrem Interesse oder im Interesse des Gemeinwohls liegen (z.B. Vermeidung von Fehlkäufen, Motivation für sportliche Aktivität, weniger Hatespeech im Netz). Für den wirksamen Einsatz braucht es jedoch mehr empirische Evidenz. Durch experimentelle Forschung können hier weitere Entscheidungsarchitekturen mit einem gesellschaftlichen Nutzen gefunden und auf Wirksamkeit getestet werden.

Quellen

Esposito, G., Hernandez, P., van Bavel, R. & Vila J. (2017). Nudging to prevent the purchase of incompatible digital products online. An experimental study. PLoS ONE 12(3).

Lembcke, T.-B., Engelbrecht, N., Brendel, A. B., & Kolbe, L. (2019). To nudge or not to nudge. Ethical considerations of digital nudging based on its behavioral economics roots. Proceedings of the 27th European Conference on Information Systems (ECIS).

Thaler, R. H., & Sunstein, C. R. (2010). Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Ullstein Taschenbuchverlag.

OECD (2019). Tools and Ethics for Applied Behavioural Insights: The BASIC Toolkit, OECD Publishing, Paris.

Statistik Austria (14.10. 2020). Corona-Krise lässt Internettelefonie ansteigen. https://www.statistik.at/web_de/presse/124524.html

Statista (12.11.2020). Anteil der Online-Käufer an der österreichischen Bevölkerung von 2003 bis 2020. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/298302/umfrage/nutzung-von-online-shopping-in-oesterreich/

Statista (12.07.2021a). Wie wirkt sich das Coronavirus auf die Nutzung digitaler Medien aus? https://de.statista.com/themen/6289/auswirkungen-des-coronavirus-covid-19-auf-digitale-medien/

Statista (21.07.2021b). Anzahl der zahlenden Streaming-Abonnenten von Netflix weltweit vom 3. Quartal 2011 bis zum 2. Quartal 2021. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/196642/umfrage/abonnenten-von-netflix-quartalszahlen/