UNICEF und IHS zum Weltmädchentag: Digitale Kluft – Mädchen durch Bildung und positive Erwartungshaltung fördern

Bildung befähigt Mädchen für ihr Leben und die Arbeitswelt. Der Fokus auf „Die digitale Generation. Unsere Generation.“ von UNICEF heuer anlässlich des Weltmädchentags, der UNICEF Gender Report 2020 und eine Studie des IHS zum MINT-Interesse bei Kindern verdeutlichen: Fähigkeiten in MINT-Fächern sind nicht angeboren, vielmehr spielt die geschlechtsspezifische Sozialisation eine Rolle.


(Wien, 8.10.2021) Die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern und die damit verbundenen Folgen für das weitere Leben sind längst nicht überwunden. Während die Pandemie die Nutzung digitaler Plattformen zum Lernen, Arbeiten und Vernetzen beschleunigt hat, haben 2,2 Milliarden Menschen im Alter von unter 25 Jahren zu Hause immer noch keinen Internetzugang. Mädchen sind eher davon betroffen. Das geschlechterspezifische Gefälle bei der Internetnutzung nimmt weltweit zu. War der Unterschied im Jahr 2013 elf Prozent, so betrug dieser 2019 bereits 17 Prozent – am größten ist die Differenz in den am wenigsten entwickelten Ländern mit 43 Prozent.

Doch bei der digitalen Kluft zwischen den Geschlechtern geht es um mehr als nur um Konnektivität. Mädchen haben auch im Vergleich zu Buben geringere Chancen, Geräte zu nutzen und zu besitzen sowie Möglichkeiten, technische Fähigkeiten zu erlernen und Arbeitsplätze, für die technische Kenntnisse notwendig sind, zu erhalten. Die im UNICEF Gender Report 2020 vorgestellte Analyse zeigt, dass das Leben von Mädchen heute zwar besser ist als vor 25 Jahren, dass diese Fortschritte aber in den einzelnen Regionen und Ländern ungleich verteilt sind.[1] Unter dem Titel „Die digitale Generation. Unsere Generation.“ betont UNICEF zum heurigen Weltmädchentag, dass Mädchen ihre digitalen Realitäten und die Lösungen, die sie brauchen, um sich den Weg zu freier Meinungsäußerung und grenzenlosem Potenzial zu ebnen, kennen.

„Unser aller Ziel muss es sein, dass diese Generation von Mädchen als digitale Generation ihr volles Potential ausschöpfen kann“, so Corinna Geißler, Leitung Advocacy des Österreichischen Komitees für UNICEF. „Wer die Gesellschaft für die Zukunft rüsten will, muss Mädchen stärken und ihnen Chancen ermöglichen. Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten und Förderung ihres Interesses für technische und naturwissenschaftliche Fächer sind ein Schlüssel dafür. Denn das Recht auf gute Bildung gilt für Mädchen und Buben gleichermaßen! Der heurige Weltmädchentag zeigt uns, dass wir hier noch viel zu tun haben.“

Bildung befähigt Mädchen für ihr Leben und die Arbeit

Notwendig für gleiche Chancen in der Bildung und im späteren Berufsleben, ist die Sicherstellung des Zugangs von Mädchen zu einer zwölfjährigen Schulbildung und der Vermittlung der für die Arbeitswelt erforderlichen Fähigkeiten. Bei Mädchen mit Sekundarschulbildung sinkt außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Jugendliche heiraten und schwanger werden und sie verdienen später deutlich mehr als Frauen, die nur Grundschulbildung erhalten haben oder nie in die Schule gegangen sind.

Mädchen besser im Lesen, während bei Mathematik die Leistungen variieren

Die Bewertung der relativen Leistungen von Kindern in der Sekundarschule gibt Aufschluss darüber, ob die Bildungssysteme den Bedürfnissen von Mädchen und Buben gleichermaßen gerecht werden. Lese- und Mathematikkenntnisse sind für den erfolgreichen Eintritt in den Arbeitsmarkt von entscheidender Bedeutung. Diese Fähigkeiten bilden auch die Grundlage für andere Skills, wie z. B. die digitale Kompetenz. Am Ende der Sekundarstufe schneiden Mädchen in allen Ländern, für die Daten vorliegen, im Lesen besser ab. Bei den Mathematikkenntnissen sind die Ergebnisse unterschiedlicher, wobei Mädchen in etwa der Hälfte der Länder, für die Daten vorliegen, besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen.[2] Auch in Österreich schneiden Mädchen – entsprechend dem internationalen Trend – im Lesen besser ab, als Buben. Die internationalen Zahlen in Bezug auf Mathematik zeigen jedoch, dass der Vorteil der Buben in Mathematik nicht angeboren ist, sondern Ergebnis des gesellschaftlich-kulturellen Umfelds ist.

Gender-Gap auch in Österreich

Weltweit liegt der Anteil der Frauen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie Ingenieurwesen und Mathematik (MINT) in mehr als zwei Drittel der Länder unter 15 Prozent. Nur 22 Prozent der Fachleute für Künstliche Intelligenz (KI) weltweit sind Frauen. Das ist ein massives Geschlechtergefälle bei denjenigen, die derzeit die Algorithmen entwickeln, die unser aller Leben beeinflussen werden. Statistiken aus Österreich zeigen, dass deutlich weniger Frauen (13%) als Männer (33%) ein Studium in einer MINT-Studienrichtung abschließen.[3] Karriereentscheidungen bzgl. MINT Fächern fallen oft schon in der Schulzeit, durch die Schulwahl von weiterführenden Schultypen oder Wahlfächern.

Problematisch ist dieser Gender-Gap in MINT-Fächern laut Studie des IHS „MINT-Interesse bei Kindern steigern: Ein Feldexperiment an Volksschulen in Österreich“ sowohl weil dadurch wertvolles Talent für Fachkräfte verloren geht, um gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel oder Digitalisierung zu bewältigen, als auch deshalb, weil er in weiterer Folge zu einem Gender-Pay-Gap führt. „Wir haben in unserem Feldexperiment basierend auf verhaltensökonomischen Erkenntnissen auf spielerische Art und in relativ kurzer Zeit Wettbewerbsvorlieben und Selbstbewusstsein in technisch-mathematischen Wissensgebieten substantiell bei Mädchen steigern können. Die gute Nachricht lautet also: Veränderung und damit die Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen und Burschen ist möglich. Unsere PraxispartnerInnen des MINT-Projekts werden nun Schritt für Schritt die Maßnahme in Österreich ausrollen – beginnend mit Oberösterreich im Winter diesen Jahres“, so Kerstin Grosch (Senior Researcher am IHS).

Selbstbewusstsein spielt eine wichtige Rolle

Die Studie von IHS zum MINT-Interesse bei Kindern kommt zu der Erkenntnis, dass insbesondere Selbstbewusstsein in MINT sowie Wettbewerbsvorlieben förderlich für MINT Interesse sind. Diese Studienerkenntnisse wurden mit der rigorosen Methode eines sogenannten Feldexperiments – für die Forschung mit dieser Methode im Armutskontext wurde 2019 der Wirtschaftsnobelpreis verliehen – kombiniert mit weiteren Methoden gewonnen. Das Interesse von Mädchen in MINT-Fächern steht nicht im Zusammenhang mit kognitiven Fähigkeiten wie beispielsweise Leistung in Mathematik. Nicht-kognitive Fähigkeiten, wie Selbstbewusstsein oder Wettbewerbsvorlieben bei Mädchen im Vergleich zu Buben, spielen hier vielmehr eine entscheidende Rolle. In dieser Studie werden diese nicht-kognitiven Fähigkeiten erfolgreich durch eine spielerische „MINT“-App erhöht und es zeigt sich, dass diese Mädchen tatsächlich ein höheres MINT-Interesse zeigen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die diese App nicht verwendet hat.

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass durch das Verwenden einer verhaltensökonomisch ausgestalteten App, die Wettbewerbsvorlieben von Mädchen und auch ihr MINT-Interesse gesteigert werden konnte. Fühlen Mädchen sich in einem kompetitiveren Umfeld wohler, haben sie Interesse am Wettbewerb erhöht sich auch ihr Interesse für (als kompetitiv geltende) MINT-Fächer. Haben Pädagog*innen ein höheres Interesse an Naturwissenschaften wirkt sich das positiv auf das MINT-Interesse der Schüler*innen aus. Die Befragung unter den Schüler*innen zeigte außerdem, dass sich Mädchen in Bezug auf Mathematik weniger von ihren Eltern unterstützt fühlen, als Buben. Dies entspricht auch dem globalen Bild laut UNICEF, dass Eltern, Lehrkräfte und politische Entscheidungsträger*innen bei allen Kindern grundlegende Fähigkeiten im Lesen und in Mathematik fördern können. Die Studie zeigt das Potential, welches in der Förderung nicht-kognitiver Fähigkeiten liegt, die verändert werden können. So kann der „Gender MINT Gap“ langfristig reduziert werden.

Welches Fazit kann daraus gezogen werden

Es sollte ein besonderer Fokus auf Mädchen gerichtet werden, denn sie sind nicht weniger begabt als Buben in Mathematik. Sie haben – global betrachtet – einen schlechteren Zugang zum Internet bzw. Endgeräten oder benötigen andere Herangehensweisen der Wissensvermittlung in MINT Fächern, was wiederum auch in Österreich gilt. Wichtig ist vor allem hier nicht voreingenommen zu sein, sondern zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln, die diese „soften“ Faktoren miteinbeziehen und somit die Chancen von Mädchen auch in Bezug auf ihre berufliche Karriere erhöhen. Darüber hinaus ist Geschlechtergerechtigkeit bei der digitalen Kompetenz auch ein Motor für wirtschaftliches Wachstum, ein wettbewerbsfähiges Unternehmen und ein nationaler Vorteil.


[1] Diese Analyse soll keine erschöpfende Bewertung der Rechte und des Wohlergehens von Mädchen sein, sondern vielmehr einen Überblick über die Fortschritte für Mädchen in den wichtigsten Bereichen ihres Lebens geben. Sie stützt sich auf international vergleichbare Zeitreihendaten, um die Fortschritte im Vergleich zu den strategischen Zielen für Mädchen zu bewerten, die vor 25 Jahren in der Aktionsplattform von Peking festgelegt wurden.  Die Erkenntnisse bilden die Grundlage für Empfehlungen an globale, nationale und regionale Akteure zu wichtigen Maßnahmen, die es Mädchen ermöglichen würden, erfolgreich in das Erwachsenenalter überzugehen und dabei ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und über die sozialen und persönlichen Voraussetzungen für ein erfülltes Leben zu verfügen.

[2] Quelle: United Nations Statistics Division, 2019

[3] vgl. Eurostat 2018/IHS 2020 S. 12